Am 19. April fand zum dritten Mal der gemeinsam mit dem Haus des Dokumentarfilms (HDF) Roman Brodmann Preis mit zugehörigem Kolloquium in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz in Berlin statt. Unter dem Titel „ZERREISSPROBEN – DIE FLUT DER BILDER“ befasste sich das Kolloquium intensiv mit den globalen Krisen unserer Zeit und ihren Auswirkungen auf Journalismus und die öffentliche Debatte in Deutschland. Gewinner des mit 10.000 EUR dotierten und von einer hochrangigen Fachjury vergebenen Roman Brodmann Preises ist der Dokumentarfilm „MY STOLEN PLANET“ (JYOTI Film, Farzad Pak / Pak Film (Koproduzent), Produzent:innen: Anke Petersen, Lilian Tietjen, Farzad Pak). Die Regisseurin Farahnaz Sharifi erzählt darin ihr Leben im Iran und ihren persönlichen Widerstand gegen das Mullah-Regime. Schon als Siebenjährige betrachtet die in Teheran Aufgewachsene den Hidschab, den sie außerhalb des eigenen Zuhauses zu tragen gezwungen ist, als Symbol für Repression. Die in Hamburg lebende Exil-Iranerin nahm den Preis persönlich von Sibylle Hanau-Brodmann, Tochter von Roman Brodmann, entgegen.
Flankiert wird die Preisverleihung seit der ersten Ausgabe 2022 von einer eintägigen Fachveranstaltung, die sich mit den Potenzialen und Bedingungen zeitkritischer Dokumentarfilme, Medienfreiheit und Demokratie beschäftigt und dabei Brücken zwischen den globalen Krisen unserer Zeit und Entwicklungen im deutschsprachigen Raum schlägt. Den Schwerpunkt des diesjährigen Kolloquiums bildete die Lage im Nahen Osten und der Krieg in Gaza, der in mehrfacher Hinsicht, geopolitisch wie gesellschaftlich, eine „Zerreißprobe“. In der Auftaktsession präsentierte der israelische Regisseur Dan Pe‘er seinen Film #Nova (yes Docu, Kastina Communications), der das brutale Massaker der Hamas auf dem Supernova-Musikfestival am 7. Oktober 2023 dokumentiert. Daran anschließend beschrieb der palästinensische Journalist und Producer Mohammad Abu Saif (Journalist und ARD-Mitarbeiter in Gaza) im Gespräch mit Leonard Novy seine Erfahrungen vor Ort. Ein von Lidia Averbukh (Bertelsmann Stiftung) moderiertes Panel mit Richard C. Schneider (SPIEGEL-Autor und ehem. ARD-Korrespondent in Israel), Danna Stern (Executive Producer, Supernova: The Music Festival Massacre) und Dima Tarhini (Head of Talk Shows Unit und Senior Host, Deutsche Welle) beschäftigte sich mit der Rolle von und den Folgen für Journalismus und öffentliche Debatte.
Ob Ukraine oder Gaza, ob Russland oder Hamas: Neben – nein: als Teil der Kriege mit Waffen eskaliert der Propagandakrieg. Welche Herausforderungen daraus für Politik, aber auch unsere Gesellschaft erwachsen, diese Frage steht im Mittelpunkt der von Dörthe Eickelberg moderierten Session „DIE FLUT DER BILDER – DESINFORMATION IM ECHTZEITALTER“. Den Impuls gab Prof. Dr. Steffen Siegel, Professor für Theorie und Geschichte der Fotografie (Folkwang Universität der Künste), der einen analogistischen Bogen von den gegenwärtigen Problemen der Informationsflut im Internet zur Historiographie der Fotografie schlug. Anschließend diskutierten Dr. Sergey Lagodinsky (Mitglied des Europäischen Parlaments, Die Grünen/EFA) und Dr. Peter Ptassek (Beauftragter für Strategische Kommunikation und Public Diplomacy Auswärtiges Amt) über den Der Umgang mit Desinformation und die Konflikte der Gegenwart und ihre Folgen auf den öffentlichen Diskurs.
Prof. Dr. Steffen Siegel:
„Ein zu großes Maß an Information droht in Rauschen umzuschlagen und führt zu Desinformation“
Ein markantes Moment des Kolloquiums war das von Steffen Grimberg moderierte Panel „LETZTE BASTION? MUSS JOURNALISMUS DEMOKRATIE VERTEIDIGEN?“, in dem die Rolle des Journalismus in Zeiten antidemokratischer Tendenzen und radikalisierter Debatten thematisiert wurde. Christian Mihr (Journalist, stellv. Generalsekretär, Amnesty International), Klaus Siekmann, (NDR-Justiziariat), Gabriela Sperl (Film- und Fernsehproduzentin) und Heike Raab, (Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa und Medien) diskutierten über die Verantwortung des Journalismus im Superwahljahr, die Rahmenbedingungen für investigative Recherchen und den Zustand der Pressefreiheit.
Den Abschluss des Kolloquiums bildetet das Panel „UNVERSÖHNLICH? LÄSST SICH DAS GESELLSCHAFTLICHE GESPRÄCH RETTEN?“, das sich mit der zunehmenden Polarisierung und Unversöhnlichkeit in der Gesellschaft befasste. Sham Jaff (Journalistin und Senior Beraterin, Bonn Institute), Björn Böhning (CEO, Produktionsallianz), Awet Tesfaiesus (MdB, Bündnis90/Die GRÜNEN) und Michael Thumann (Außenpolitischer Korrespondent der ZEIT) diskutierten unter Moderation von Jenny Zylka (links) Wege, wie das gesellschaftliche Gespräch verbessert und der soziale Zusammenhalt gestärkt werden kann. Eine wichtige Rolle spielen dabei laut Sham Jaff Machtverhältnisse in der Gesellschaft: „Es gibt Menschen, die diskursmächtiger sind als andere. […] Wenn wir ein besseres Gespräch führen möchten, müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie dieses Gespräch überhaupt zustande kommt.“
Sham Jaff:
„Wenn wir ein besseres Gespräch führen möchten, müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie dieses Gespräch überhaupt zustande kommt.“
Die Veranstaltung endete mit einer feierlichen Preisverleihung, bei der herausragende Leistungen im Dokumentarfilm ausgezeichnet wurden. Fritz Frey hielt die Roman Brodmann-Rede, gefolgt von der Preisvergabe und einer Diskussion über den preisgekrönten Film.
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