Schlagwort: Medienpolitik

Internationale Medienkonferenz M100 diskutiert Politik für eine post-pandemische Welt

• Benjamin H. Bratton und Andreas Reckwitz eröffnen das in Zusammenarbeit mit dem IfM stattfindende M100 Sanssouci Colloquium am 6. Oktober
• Strategien aus der Dauerkrise Thema der internationalen Medienkonferenz
• M100 Media Award im Schlosstheater des Neuen Palais, Potsdam

Potsdam, 11. August 2021. Kein anderes Ereignis hat Politik, Gesellschaft und Medien weltweit so stark verändert und auf den Prüfstand gestellt wie Covid-19. Welche Lehren wir aus der Pandemie ziehen müssen, um unsere Demokratien widerstandsfähiger zu machen, ist das Thema des diesjährigen M100 Sanssouci Colloquiums. Unter dem Titel „From Crisis in Perpetuity to Democratic Resilience“ („Von der Dauerkrise zu demokratischer Resilienz“) findet die internationale Medienkonferenz am 6. Oktober im Schlosstheater des Neuen Palais in Potsdam in einem hybriden Format statt.

Den digitalen Teil der Konferenz mit drei parallel stattfindenden Strategischen Roundtable eröffnet der renommierte amerikanische Soziologe und Publizist Benjamin H. Bratton. In seinem aktuellen Buch „The Revenge of the Real: Politics for a Post-pandemic World“ („Die Rache des Realen: Politik für eine post-pandemische Welt“) analysiert er Ursachen und Folgen politischer, systemischer und menschlicher Fehlentscheidungen, fordert ein radikales Überdenken der post-pandemischen Politik und plädiert für eine positive Biopolitik. Bratton ist Professor für Visuelle Kunst an der University of California, San Diego, Programmdirektor des „Terraforming“-Programms am Moskauer Strelka-Institut für Medien, Architektur und Design, Professor für Digitales Design an der European Graduate School sowie Gastprofessor am SCI_Arc (The Southern California Institute of Architecture) und der NYU Shanghai. Seine Arbeit umfasst Philosophie, Architektur, Informatik und Geopolitik.

Der zweite, im Schlosstheater Potsdam mit Publikum stattfindende Part wird von Prof. Dr. Andreas Reckwitz eingeleitet. In seinem Vortrag beschäftigt er sich mit der Frage, wie eine Politik aussehen muss, die versucht, die Resilienz der Gesellschaft zu stärken. Reckwitz ist Professor für Allgemeine Soziologie und Kultursoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sein Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten“ wurde 2017 mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichnet und stand 2018 auf der Shortlist des Sachbuchpreises der Leipziger Buchmesse. 2019 erhielt er den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Mike Schubert, Oberbürgermeister der Stadt Potsdam und Vorsitzender des M100-Beirats: „Mit dem Thema post-pandemische Welt wird beim M100 Sanssouci Colloquium wieder ein aktueller Anknüpfungspunkt an die reale Situation unseres Lebens gespiegelt und diskutiert. Unser Handeln war, ist und wird beeinflusst von einer Pandemie, wie es sie in unserer modernen Welt noch nicht gegeben hat. Was wir daraus lernen und wie wir die Zukunft unter den andauernden pandemischen Bedingungen gemeinsam gestalten können, darüber werden wir miteinander ins Gespräch kommen. Das hybride Format mit digitalen Diskussionen auf der einen und Präsenzveranstaltungen mit zugeschalteten Gästen auf der anderen Seite sowie einem Livestream des M100 Sanssouci Colloquiums könnte ein neuer Standard werden und ist eine Folge der Pandemie.“

Rund 100 Medien- und MeinungsmacherInnen aus Europa und den USA diskutieren über die Krisenfestigkeit unserer Demokratie, über Leadership (post-)Corona, das Verhältnis von Politik, Wissenschaft und Medien, Gründe für ein Anwachsen antidemokratischer, autokratischer Herrschaftsformen sowie über Verantwortung und aktuelle Herausforderungen der Medien in dieser Gemengelage.

Die Ergebnisse von drei parallel stattfindenden, digitalen Strategischen Roundtable werden am Nachmittag des 6. Oktober auf der Bühne des barocken Schlosstheaters im Neuen Palais Potsdam vorgestellt und mit vor Ort anwesendem und digital zugeschaltetem Publikum diskutiert. Zudem ist ein Special Talk mit zwei Gästen zum Thema „Die totalitäre Versuchung“ geplant.
Am Abend findet ebenfalls im Schlosstheater die Verleihung des 17. M100 Media Awards an eine Persönlichkeit statt, die sich für Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit einsetzt. Der diesjährige Preisträger wird zeitnah bekannt gegeben.

Die Programmpunkte im Schlosstheater werden live gestreamt auf www.m100potsdam.org.
Eine aktuelle Übersicht über die Teilnehmerinnen und Teilnehmer finden Sie hier.

M100 ist eine Initiative von Potsdam Media International e.V., die in konzeptioneller Zusammenarbeit mit dem Institut für Medien-und Kommunikationspolitik (IfM) stattfindet. IfM-Direktor Leonard Novy kuratiert die Veranstaltung.

„Resilienz ist eine Zukunftsfrage“

Interview mit Leonard Novy

Fake News, Desinformation, Desorientierung: Ist es um die Zukunft der Medien wirklich so schlecht bestellt? Unter der Überschrift „Resilienz ist eine Zukunftsfrage“ veröffentlichte die Zeitschrift „Internationale Politik“ (IP) ein Interview mit IfM-Direktor Leonard Novy zum Umgang mit Fake News und der Zukunft der europäischen Öffentlichkeit.

Die „Konjunktur von Fake News und die Krise des Journalismus auf beiden Seiten des Atlantiks“ würden sich wechselseitig bedingen, so Novy. So hätten viele Medienhäuser mit einem primär auf Klicks im Netz ausgerichteten Journalismus und Einsparungen selbst die Entwertung von Fakten vorangetrieben, statt frühzeitig Antworten auf die Frage zu suchen, wie ein „professionellen wie ethischen Standards verpflichteter Journalismus seinen Funktionen für die Demokratie auch unter digitalen Vorzeichen gerecht werden“ könne. Mit „Business as usual“ ließe sich digital kaum Geld verdienen. „Finanzierungsmodelle und Geschäftsmodelle dürften vielfältiger werden. Stiftungen werden eine größere Rolle spielen, aber auch staatliche Instrumente wie die Mehrwertsteuer oder die Anerkennung des Journalismus als gemeinnützig, was wiederum Raum schaffen würde für mehr Förderung aus der Zivilgesellschaft. Und irgendwann wird man sich auch nochmal grundsätzlich mit der Neudefinition des Auftrags der öffentlich-rechtlichen Medien beschäftigen müssen – und zwar losgelöst von der bestehenden Rundfunkordnung und idealerweise europäisch.“

Die Sonderausgabe der von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik herausgegebenen Zeitschrift beschäftigt sich unter dem Titel „Digitales Europa 2030“ mit einem von der Alfred Herrhausen Gesellschaft im Frühjahr 2020 durchgeführten Szenarienworkshop gleichen Namens (Projektseite). Das Gespräch mit Leonard Novy sowie alle anderen Beiträge des Sonderhefts – unter anderem von Thorsten Thiel, Daniel Voelsen, Elisabeth von Hammerstein, Claudia Huber, Julian Jaursch und Georg Diez –  sind Open Access auf der Seite der IP hinterlegt.

„A very stable genius“? Veranstaltung zu Twitter als Medium politischer Kommunikation mit Sawsan Chebli, Ruprecht Polenz u.v.a.

Die Wahl des „Twitter“-Präsidenten Donald J. Trump hat wohl auch die letzten Zweifler davon überzeugt, dass die Politik der Sozialen Medien keinen Randbereich des Politischen mehr darstellt. Eng damit verwoben ist eine Medienrevolution, in der alte Gatekeeper entmachtet werden und neue Akteure, seien es grassroots activists oder auch neue Player wie Breitbart.com, nach Deutungsmacht streben. Weit entfernt davon, einfach „verrückt“ zu sein, wie es Kommentare manchmal andeuten, nutzt der US-Präsident das Medium durchaus strategisch und hinsichtlich des Agenda-Settings mit einigem Erfolg, so lautete eine Schlussfolgerung der Studie „Twitter Diplomacy“, die ein Autorenteam rund um IfM-Fellow Dr. Jasmin Siri (LMU München) am 22. November im ProjektZentrum Berlin der Stiftung Mercator vorstellte. Im Anschluss an die Studienvorstellung durch Siri und Dr. Martin Koch (Universität Bielefeld) diskutierten Vertreter/innen aus Politik, Wissenschaft und Medien unter der Moderation von IfM-Direktor Leonard Novy über die politische und publizistische Rolle von Twitter in einer veränderten Kommunikationsumwelt. Für diese Runde lieferten die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli, der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz und der Autor Johannes Hilje einführende Impulse.

Folgende Ergebnisse hat die von der Stiftung Mercator geförderte Studie, die sich schwerpunktmäßig mit Reaktionen von EU-Politikern auf die Twitterkommunikation des US-Präsidenten Donald J. Trump beschäftigt, unter anderem herausgearbeitet:

1. Twitter macht diplomatische Kommunikation für alle sichtbar. Wissen über transatlantische Diplomatie und ihre Themen war lange Zeit eingeweihten politischen Playern und Journalist/innen vorbehalten. Das ändert sich, indem relevante Themen und Konfliktstrukturen für alle Mitlesenden sichtbar werden. Dies wird politikwissenschaftlich zum Beispiel unter dem Stichwort der „public diplomacy“ diskutiert.

2. Die Twitter-Kommunikation des US-Präsidenten ist nicht „verrückt“, erratisch oder in sich unlogisch. Sie verfolgt eine klare Agenda. Gemäß der Idee „America first“ und der politischen Polarisierung richtet sich Trumps Kommunikation in erster Linie an seine eigene Gefolgschaft. Innenpolitische Erwägungen sind folgerichtig relevanter als außenpolitische oder diplomatische Ziele.

3. Die Reaktion von Playern aus der Europäischen Union auf die Trump-Tweets ist ganz unterschiedlich. Während die Mehrheit der untersuchten Accounts es vermeidet, den US-Präsidenten direkt zu adressieren und im Ton sachlich und diplomatisch ist (z.B. Federica Mogherini), formulieren andere kämpferische Kritik (z.B. Donald Tusk). Doch gerade bei der ersten Gruppe finden sich „indirekte“ Kommentare, die für Kenner/innen der transatlantischen Beziehungen als Kommentar zu Trumps Tweets gelesen werden können.

4. Trumps Tweets triggern positive Erzählungen der EU und des Zusammenhalts. Als eine Art nicht beabsichtigter Folge der Trump-Tweets zeigt sich, wie unterschiedliche Akteure in der EU durch Angriffe zusammenrücken und Angriffen, höhnischen Kommentaren und Kritiken positive Erzählungen Europas entgegensetzen. Ungewollt tragen die Trump-Tweets also zu einer stärkeren Identitätsbildung der überzeugten Europäer bei.

​5. Bildet sich eine neue transatlantische Brücke der Populisten?

Während die überzeugten Europäer zusammenrücken, gibt es natürlich auch innerhalb der EU Politiker/innen, die den Trump-Policies sehr positiv gegenüberstehen. So lässt sich zum Beispiel beobachten, dass die Brexiteers Trump für sich vereinnahmen und vice versa. Es entstehen gemeinsame Narrative und die Narrative der jeweils anderen werden auch übernommen.

Die vollständige Studie „TWITTER DIPLOMACY. Außen- und Sicherheitspolitik in Zeiten von Social Media“ wird in den nächsten Wochen auf der Webseite des IfM abrufbar sein.

Autorenteam: Jasmin Siri, Frederik Zimmermann, Martin Koch, Madeleine Myatt, Tanja Jaschkowitz