Am 27. April 2023 haben das das Haus des Dokumentarfilms und das Institut für Medien- und Kommunikationspolitik zum zweiten Mal den Roman Brodmann Preis vergeben. In diesem Jahr ging die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung an Steffi Niederzoll für SIEBEN WINTER IN TEHERAN (MADE IN GERMANY Filmproduktion, Produzentin: Melanie Andernach; Gloria Films Production; TS Productions; WDR, Redaktion: Jutta Krug, 2023).
Die Auszeichnung würdigt den politisch und gesellschaftlich relevanten Dokumentarfilm mit besonderer Autorenhandschrift. Insgesamt waren rund 110 Einreichungen dafür eingegangen. Elf Produktionen kamen auf die Shortlist, darunter sieben abendfüllende Filme und eine Doku-Serie.
Stellvertretend für Steffi Niederzoll nahm die verantwortliche WDR-Redakteurin Jutta Krug die Auszeichnung entgegen und verlas die Grußbotschaft der Regisseurin. Diese ist ebenso wie die Roman Brodmann Rede von Alice Agneskirchner im Wortlaut bei dokumentarfilm.info nachzulesen.
Die Preisverleihung war der feierliche Abschluss des Roman Brodmann Kolloquiums. Das diesjährige Motto lautete UNVERZICHTBAR! MEDIENFREIHEIT UND DOKUMENTARFILM.
Roman Brodmann Kolloquium 2023 Unverzichtbar! Medienfreiheit und Dokumentarfilm
Flankiert wurde die Verleihung des Roman Brodmann Preises vom Roman Brodmann Kolloquium. Hier diskutierten Branchenvertreter:innen, Politiker:innen und Medienkritiker:innen sowie -forscher:innen die Potenziale und Bedingungen zeitkritischer Dokumentarfilme und investigativer Recherchen, aber auch Zustand und Zukunft der Medienfreiheit weltweit. Dieses Jahr lag ein Schwerpunkt auf den Herausforderungen unabhängiger Journalist:innen in verschiedenen Kriegs- und Krisenregionen. Dazu widmeten sich Panels der Reformdebatte um den öffentlichen-rechtlichen Rundfunks wie auch den Arbeitsbedingungen von Film- und Medienschaffenden. Das vollständige Programm finden Sie hier.
Nach einer Begrüßung durch Ulrike Becker (HDF) und Dr. Leonard Novy (IfM) und einem Grußwort von Heike Raab eröffnete der israelische Fernsehjournalist und Dokumentarfilmer Itai Anghel das Kolloquium mit einer persönlichen Rede über seine Erfahrungen mit Dreharbeiten in Kriegsgebieten. Seine jüngsten Einsätze liegen nur wenige Monate zurück und führten ihn an die Front des Krieges in der Ukraine. Einige der Protagonisten, die in seiner bisher unveröffentlichten Dokumentation zu sehen waren, aus der er Ausschnitte zeigte, sind mittlerweile ums Leben gekommen. Trotz seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Kriegsjournalist könne er sich davon nicht emotional abgrenzen, erklärte Anghel. Im Gegenteil gehöre es zu seinem Beruf, sich um das Schicksal und die Geschichten der Menschen in Kriegsgebieten zu sorgen: „Mir wurde klar, dass ich mich als Dokumentarfilmer nicht zu sehr auf die Menschen einlassen sollte, die ich filme, weil die Wahrscheinlichkeit ihres Todes vor Ort sehr hoch ist. Diese Einstellung ist jedoch nicht realistisch, denn als Dokumentarfilmer gehen wir an diese Orte und erzählen diese Geschichten, weil uns die Menschen und ihre Erfahrungen am Herzen liegen.“
Anghels Keynote leitete über zum ersten Panel des Kolloquiums zum Thema „Telling the Story of Media Freedom“. Zustand und Perspektiven der Medienfreiheit bildeten Leitthema der Diskussion, die sich dem Thema in diesem international und intersektoral besetzten Panel aus unterschiedlichen Blickwinkeln näherte. Das Podium, bestehend aus Itai Anghel, Theresa Breuer (Journalistin, Filmemacherin und Mitbegründerin der Initiative Kabul Luftbrücke), Matt Sarnecki (Journalist und Regisseur „The Killing of a Journalist“) und Dr. Anna Litvinenko (Kommunikationswissenschaftlerin) diskutierten die Überschneidung von Journalismus und Aktivismus mit besonderem Augenmerk auf Sicherheitsaspekten für Journalisten in Konfliktgebieten. Neben den Herausforderungen die, laut Litvinenko, mit neuen Plattformen wie TikTok einhergehen, auf denen schnell Fehlinformationen verbreitet werden, sah z.B. Matt Sarnecki ein Problem darin, dass zu viel Aktivismus die journalistische Objektivität beeinträchtigen könnte. Dabei seien laut Theresa Breuer Fakten ausreichend, um die Meinung der Menschen zu ändern, weshalb ein besonders akribischer Faktencheck und vor Ort zu sein von elementarer Bedeutung sei: „Nothing beats being on the ground and doing research“. Das Panel wurde moderiert von Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen.
Nach einer Mittagspause setzte Sylvie Stephan, stellvertretende Programmdirektorin Arte GEIE, einen Impuls zur europäischen Perspektive öffentlich-rechtlicher Medien, um das folgende Diskussionspanel zum Programmauftrag und dokumentarischen Formen im ÖRR einzuleiten. Hier diskutierten Martina Zöllner (Programmdirektorin, rbb), Andres Veiel (Autor und Regisseur) und Dr. Heike Hupertz (Medienjournalistin). Moderiert wurde das Panel von Steffen Grimberg, Journalist und Vorstandsmitglied des DJV Berlin-JVBB. Im Mittelpunkt des Panels stand die Frage, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk seiner Funktion als unabhängiger Informations- und Bildungsanbieter und der Vielfalt der an ihn gerichteten Erwartungen in Zukunft gerecht werden kann – und welche Rolle dem Dokumentarischen dabei zuteilwird.
Martina Zöllner betonte die Vorteile, die Mediatheken für dokumentarische Formate bieten können. Diese können sich von späten Sendeplätzen und der Konkurrenz mit mainstreamigen Formaten lösen. Obwohl das lineare Prinzip, das eine feste Uhrzeit, Länge und Form beinhaltet, weiterhin besteht, bietet die Möglichkeit des Nicht-Linearen in Mediatheken eine Befreiung für Dokumentarfilme. Dadurch ergeben sich neue Chancen, die von Zielgruppen angenommen werden, die bisher vernachlässigt wurden. Allerdings gibt es bei der ARD-Reform das Problem von kleinen, geclusterten Etats. Dies sei strukturell bedingt, gerade für die ARD und in der Konkurrenz der Plattformen. Zu einer ambivalenten Einschätzung kam Heike Huperts. Es gebe eine Wertschätzung, doch die sei „billig, weil die nicht viel kostet“ – und mit den Mediatheken vermutlich „noch billiger zu haben“. Sie sieht die Gefahr, dass Mediatheken zu einem „Schutzraum, einer „Nische in der Nische“ werden, der Kulturauftrag ins Nonlineare verlagert wird und die „Entscheiderinnen sagen: Wir machen das doch alles!“
„Wie verteidigen wir ein öffentlich-rechtliches System, das für mich weiterhin Alleinstellungscharakter hat und haben muss, weil bestimmte Themen und Formate, z. B. der künstlerische Dokumentarfilm, nur da vorkommen.“, so Andres Veiel. Bei Streamern müsse die „Berechenbarkeit der Erzählung“ gegeben sein, es gebe wenig Risikobereitschaft, die eine Offenheit der Erzählung ermöglichen würde. In Bezug auf den ÖRR gilt für ihn: „Es muss neu gedacht werden, es muss größer gedacht werden. Es gibt einen Auftrag, und der muss umgesetzt werden.“
Nach einer Kaffeepause widmeten sich Kristian Kähler (Sektion Dokumentarfilm, Produzentenallianz), Susanne Binninger (Regisseurin und Ko-Vorsitzende AG DOK), Melanie Andernach (Filmproduzentin und Drehbuchautorin) und Dr. Markus Nievelstein (Geschäftsführer von ARTE Deutschland) unter Moderation von Jenni Zylka (Autorin und Journalistin) Fragen rund um Finanzierung, Fördermöglichkeiten und Verbreitung von Dokumentarfilm. Laut Kristian Kähler bestehe das Hauptproblem nach wie vor darin, dass zu wenig Geld im dokumentarischen Bereich zur Verfügung sei. Diesen „Zustand der regelmäßigen Selbstausbeutung“ aller Beteiligten gelte es zu ändern. „Kinodokumentarfilm muss man sich leisten können“, sagte Susanne Binninger dazu. „Wir wissen, dass die Budgets in Deutschland geringer sind als im europäischen Vergleich. Wir sind in einer unguten Konkurrenz zu anderen Ländern, wo die Filmförderung anders und besser aufgestellt sind.“ Laut Binninger wäre es wünschenswert, wenn die Sender in der Lage wären, einen langen Dokumentarfilm voll zu finanzieren, ohne dass diese automatisch bei den Filmförderungen landen, was wiederum bedeute, dass daraus laut Förderbestimmungen ein Kinodokumentarfilm werden müsse. Die Folge sei, dass sich viele TV-Dokumentarfilme an den Kinokassen „kannibalisieren“ – „Dann werden uns die schlechten Zahlen um die Ohren gehauen.“ Auch Kähler erklärte, hier bestünde dringender Reformbedarf. Es dauere zu lang, bis ein Film durchfinanziert sei. „Wir brauchen mehr Geld im System.“
Letztendlich sei der Erfolg eines Dokumentarfilms aber nicht nur an wirtschaftlichen Faktoren zu bemessen. Auf die Frage, was einen erfolgreichen Dokumentarfilms ausmache, antwortete Markus Nievelstein: „Unser primärer Erfolg liegt darin, dass wir die von uns ausgewählten Filme an eine breite Öffentlichkeit vermitteln können. Unser Auftrag besteht darin, Menschen mit Kultur in Verbindung zu bringen. Wie gut wir in der Verbreitung dieser Filme sind und wie viele Menschen wir damit erreichen können, ist ein wichtiger Faktor für unseren Erfolg.“
Partner der Veranstaltung waren die Landesvertretung Rheinland-Pfalz, Arte, Reporter ohne Grenzen, die Heinrich-Böll-Stiftung und der DJV Berlin – JVBB.