Autor: Nils Berg | 21.09.2022
Spaltung, division, als Merkmal und Topos unserer Zeit war das Thema des “Transatlantic Media Forums“, welches das IfM gemeinsam mit 1014 und mit freundlicher Unterstützung von M100 und der Stiftung Mercator am 8. September 2022 in New York City organisierte.
Die Veranstaltung fand in den Räumen von “1014 – Space for Ideas“ gegenüber des Metropolitan Museums statt und bestand aus drei von der ndr-Journalistin Svea Eckert moderierten “Strategic Roundtables“, verdichteten, workshopartigen Diskussionen mit geladenen Expert:innen aus den USA, Deutschland und der Ukraine, einer abendlichen öffentlichen Keynote von Masha Gessen (“Tipping Points“), gefolgt von einer Paneldiskussion mit Demokratieexpertin Paulina Fröhlich, der Autorin und Journalistin Sham Jaff sowie der US-amerikanischen Journalistin Prachi Gupta. Der abendliche Teil der Veranstaltung wurde vom Journalisten und Publizisten Alexander Görlach moderiert.
Journalismus im Ausnahmezustand
Neben dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine – oder vielmehr als Teil von ebendiesem – eskaliert auch der Informationskrieg. Der Kontext ist neu, doch die Herausforderungen sind es nicht. Jedoch manifestieren sich die altbekannten Probleme wie Desinformation, Hassrede und Propaganda seit der Eskalation des russischen Krieges gegen die Ukraine mit einer neuen Dringlichkeit. Die Nutzer:innen von Online-Medien und Social-Media-Plattformen sind im Informationskrieg ein leichtes Ziel für Manipulation: „Viele von ihnen haben Probleme damit, seriöse Nachrichten von Fake News zu unterscheiden“, führte Sham Jaff an.
Jedoch eröffnet die Digitalisierung der Medien auch neue Möglichkeiten, die wiederum mit Fragen verbunden sind: „Kein bisheriger Krieg ist wohl so umfassend dokumentiert worden wie der Krieg in der Ukraine“, betonte die ukrainische Journalistin Anna Romandash, die während des Krieges bereits selbst aus dem Land berichtete. Bei dieser Masse an Daten, sei es jedoch eine Herausforderung, zu erreichen, dass „diese Daten nicht einfach nur in den Medien sind“, so Romandash. Es müsse ein Weg gefunden werden, dass die Medien etwa mit Menschenrechtsorganisationen enger zusammenarbeiten, führte sie weiter aus.
Mythos Polarisierung? Was wir dennoch davon lernen können
Ein zentraler Diskussionsgegenstand des zweiten Roundtables war die verbreitete Wahrnehmung einer zunehmenden Spaltung unserer Gesellschaften, die sich – so häufig das Empfinden – nicht zuletzt in einer immer stärker werdenden Polarisierung des öffentlichen Diskurses, aber auch einer Zunahme von Ambiguitäten manifestiert, so die Soziologie-Professorin Delia Baldassari (New York University) in ihrem Impuls. Ihr zufolge handele es sich dabei um ein Problem, welches in den USA vor allem daraus resultiere, dass sich die großen Parteien aus taktischen Gründen immer weiter voneinander abgrenzten, während die Gesellschaft in großen gesellschaftspolitischen Fragestellungen, entgegen der gängigen Wahrnehmung, nicht weiter auseinander läge als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Auch wenn der Befund einer gesellschaftlichen Spaltung umstritten bleibt, so werden unsere Gesellschaften zumindest immer vielfältiger und die Digitalisierung ermöglicht es, ein breiteres Meinungsspektrum abzubilden. In einer Zeit, in der das Vertrauen in die Medien zugleich vielerorts abnimmt, sieht sich die Gesellschaft mit der Gefahr von Konflikten konfrontiert, die aus gegensätzlichen Ansichten entstehen. Nach Paulina Fröhlich, Demokratieforscherin am Progressiven Zentrum, Berlin, sei es daher umso wichtiger, die Menschen und ihre unterschiedlichen Sichtweisen zusammenzubringen.
‘Taming the beasts?’ Herausforderungen und Chancen durch die Digitalisierung
Ebenso hat die auf Gewinne anstatt auf Gemeinwohl optimierte Logik der großen Silicon-Valley-Plattformen und ihrer Algorithmen die Mediennutzung, das zivilgesellschaftliche Engagement und damit den Geist unserer öffentlichen Sphären und der politischen Landschaften erheblich verändert. Trotz des unbestreitbaren emanzipatorischen Potenzials für benachteiligte Bevölkerungsgruppen birgt der derzeitige Zustand von Social Media zahlreiche Gefahren. Wie Carla Hustedt von der Stiftung Mercator in ihrem einführenden Statement für den dritten Roundtable verdeutlichte, können die sozialen Medien eine ernsthafte Bedrohung für die Privatsphäre, die Sicherheit und die psychische Gesundheit des Einzelnen sowie für die Demokratie im Allgemeinen darstellen.
Diesen negativen Entwicklungen müsse gegengesteuert werden, jedoch gingen die Bemühungen der politischen Entscheidungsträger:innen bisher nicht weit genug, wie Alexander Sängerlaub, Direktor von futureins, bekräftigte. Dabei sind die Möglichkeiten, mit denen die Entscheidungsträger:innen diesseits und jenseits des Atlantiks eine strengere Regulierung erreichen könnten, groß – sie reichen von technologischen Entwicklungen (etwa dem Einsatz von KI) über Bildungsmaßnahmen (Medienkompetenz) bis hin zu einem strikteren politisch-rechtlichen Rahmenwerk.
Masha Gessen: „Die Herausforderung für uns Journalist:innen ist es, über diesen Krieg zu berichten, der passiert, aber zugleich noch immer unvorstellbar scheint“
In der abendlichen Keynote betonte Masha Gessen, der*die Bürger:in Russlands und der USA ist, die Wichtigkeit, nochmals über den Krieg in der Ukraine zu sprechen: „Ich kann wirklich nur über eine Sache nachdenken, sprechen und darüber schreiben, und das ist der Krieg in der Ukraine“. Mitunter warnte Gessen davor, die Narrative der russischen Regierung bei der Beschreibung des Krieges zu übernehmen.
Zugleich beschrieb er*sie die Herausforderung für Journalist:innen, über einen Krieg zu berichten, der passiert, aber zugleich noch immer unvorstellbar scheint. Umso wichtiger sei es, auch von dort zu berichten, also „in die Gesichter jener zu blicken, über die man schreibt“.
Im Video: Keynote von Masha Gessen und Abschlussdiskussion zwischen Paulina Fröhlich, Prachi Gupta und Sham Jaff.
Die zwei Gesichter von Social Media
Die abschließende Paneldiskussion fokussierte auf den Einfluss von Social Media für den politischen Diskurs in demokratischen Gesellschaften und den – mitunter damit verbundenen – Zusammenhang mit einer (vermeintlich) zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft. Die Journalistin Prachi Gupta betonte hierbei, dass keine pauschale Aussage darüber getroffen werden könne, ob an Social Media „alles gut oder alles schlecht ist“. Es sei viel komplexer, insbesondere, „da so viele Menschen es so unterschiedlich nutzen“.
Paulina Fröhlich bekräftigte, es sei wichtig, sich vor Augen zu führen, welche Macht hinter Social Media stünde und zu reflektieren, inwieweit es sich hierbei um eine demokratische Macht handele: „Viele demokratische Aspekte auf die es eigentlich ankommt, wenn wir von Macht sprechen, gelten hier nicht“.
Sham Jaff: „Polarisierung ist ein Mythos“
Als Alexander Görlach nach der Ursache für eine zunehmende gesellschaftliche Polarisierung fragt, geht Sham Jaff sogar noch weiter: „Wir sind nicht so polarisiert, wie wir denken“. Polarisierung sei ein Mythos, zumindest in der Art und Weise, wie sie von der Gesellschaft wahrgenommen werden würde. Denn tatsächlich sei der politische Diskurs deutlich weniger polarisiert als viele denken. Obwohl viele Menschen glauben, es gebe diese zwei Seiten politischer Meinungen, hätten wir deutlich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede, so Sham Jaff weiter. Die Lösung sei es, Räume zu schaffen, in denen die Menschen zusammenkommen und sich gegenseitig herausfordern und in verschiedenste Dialoge miteinander gehen können.